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Schengen-Reform: Kleiner Schritt für Visa, großer Sprung für die EU-Türkei-Beziehungen

Die Schengen-Reform markiert einen Fortschritt in den Beziehungen zwischen der Türkei und der EU – hin zu gegenseitiger Partnerschaft, wirtschaftlichem Wachstum und sozialer Mobilität.

Die Beziehungen zwischen der Türkei und der EU waren schon immer sui generis – eine Partnerschaft ohnegleichen, geprägt von langjährigen Ungleichgewichten. Jeder Bereich dieser Zusammenarbeit – vom Handel bis zur Diplomatie – wurde von diesen Asymmetrien bestimmt. Das jüngste Beispiel: Waren überquerten die Grenzen mühelos, während Menschen warten mussten. Ein mit Autoteilen beladener Lkw aus der Türkei konnte Deutschland innerhalb weniger Tage erreichen, während der Exporteur dahinter Wochen auf einen Visumstermin warten musste.

Das Ungleichgewicht beschränkte sich nicht nur auf die Mobilität, sondern zeigte sich auch in den Verhandlungen, die oft zu Ungunsten der Türkei ausfielen. Die Entscheidung der Europäischen Kommission vom 15. Juli könnte nun erstmals ein Signal sein, dass sich dieses Muster zu ändern beginnt. Demnach können berechtigte türkische Reisende künftig Mehrfach-Schengen-Visa mit einer Gültigkeit von bis zu fünf Jahren erhalten – und so die ständige Unsicherheit über die rechtzeitige Rückgabe ihres Passes vermeiden.

Kurzfristige Wirkung: Weniger Belastung
Europa bleibt aufgrund seines technologischen Vorsprungs und seiner hochwertigen Bildung ein Anziehungspunkt. Doch die finanzielle Belastung für türkische Staatsbürger ist enorm. Allein im Jahr 2024 zahlten sie 93,9 Millionen Euro an Schengen-Gebühren – 13,6 Millionen Euro davon gingen für abgelehnte Anträge verloren. Rechnet man dies über die letzten 15 Jahre hoch, ergibt sich eine Summe von mehr als 775 Millionen Euro aus privaten Haushalten und Unternehmen.

Längere Visa-Laufzeiten werden diese Kosten zwar nicht beseitigen, aber sie dienen dem nationalen Interesse, indem sie die Menschen von der ermüdenden Routine befreien, alle paar Monate erneut einen Antrag stellen zu müssen.

Auch der Handel erzählt eine klare Geschichte: Das Handelsvolumen zwischen der Türkei und der EU belief sich im vergangenen Jahr auf 210,7 Milliarden Euro. Die türkischen Exporte – im Wert von 98,4 Milliarden Euro – umfassten vor allem Autoteile, Maschinen, Elektronik und Textilien. Die Importe aus der EU lagen bei 112,3 Milliarden Euro, vorwiegend Industriegüter und Chemikalien.

Mit der neuen Visaerleichterung dürfte dieses Handelsvolumen nicht nur weiter steigen, sondern auch neue Rekorde erreichen – und türkischen Exporteuren Geschwindigkeit und Zugang verschaffen, um gegenüber Wettbewerbern wie China die Nase vorn zu behalten.
Dies betrifft jedoch nicht nur den Handel – auch Bildung und Tourismus leiden unter ähnlichen Hürden.

Einseitige Partnerschaft: Der menschliche Preis
Laut offiziellen Schengen-Statistiken der EU reichten türkische Staatsbürger im Jahr 2024 insgesamt 1.173.917 Anträge ein – weltweit die zweithöchste Zahl nach China. Die Ablehnungsquote lag trotz hoher Nachfrage bei 14,5 %, was über 170.000 abgelehnten Anträgen entsprach. Allein dies kostete mehr als 13,6 Millionen Euro an nicht erstattungsfähigen Gebühren, hinzu kamen weitere Nebenkosten. Unter den Betroffenen befanden sich zahlreiche Studierende, die an europäischen Universitäten oder Erasmus-Programmen angenommen worden waren – viele verpassten durch lange Wartezeiten Vorlesungen, Programme oder Stipendienfristen.

Solche Verzögerungen wurden in vielen Sitzungen thematisiert und galten als Symbol für den Reformbedarf – nun hat sich tatsächlich etwas bewegt.

Der Tourismus macht das Ungleichgewicht besonders deutlich: EU-Bürger genießen visafreien Zugang zur Türkei – und das in Rekordzahlen. Nach Angaben des Türkischen Statistikamtes (TurkStat) empfing die Türkei 2024 insgesamt 62,6 Millionen ausländische Besucher, darunter 9,5 Millionen im Ausland lebende Türken, und erzielte daraus Einnahmen in Höhe von 61,1 Milliarden US-Dollar. Allein aus Deutschland reisten über 6,6 Millionen Touristen an.

Im gleichen Zeitraum reisten rund 11,4 Millionen türkische Staatsbürger ins Ausland und gaben dabei fast 7,7 Milliarden US-Dollar aus. Schätzungsweise nur 1,1 bis 1,2 Millionen dieser Reisen gingen in EU-Länder – trotz der tiefen wirtschaftlichen und sozialen Verflechtungen.

Was für die türkische Wirtschaft auf den ersten Blick vorteilhaft erscheint, zeigt jedoch: Eine echte Partnerschaft beruht auf Gegenseitigkeit, nicht auf einseitigen Strömen. Die neuen Maßnahmen sollen türkischen Reisepassinhabern künftig eine leichtere und freiere Reise durch Europa ermöglichen.

Langfristige Wirkung: Volle Integration
Klar ist: Dies ist nur ein Anfang, nicht das Ziel. Vielmehr sollte dieser Schritt den Weg für zwei lange aufgeschobene Ziele ebnen – visafreies Reisen und eine modernisierte Zollunion.

Wie Präsident Recep Tayyip Erdoğan bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen betonte: „Die Zollunion muss erneut aktualisiert und die Verhandlungen über Visaliberalisierung wieder aufgenommen werden.“

Tatsächlich stammt die aktuelle Zollunion aus dem Jahr 1996 – lange vor dem digitalen Wandel des Welthandels. Online-Dienste, E-Commerce und öffentliche Auftragsvergaben blieben vollständig außen vor. Vor allem aber wiegt der Mangel an Freizügigkeit schwerer als jede andere Lücke im aktuellen Abkommen.

Eine modernisierte Vereinbarung könnte das türkische Bruttoinlandsprodukt deutlich steigern, den Zugang zu EU-Dienstleistungsmärkten öffnen und die landwirtschaftlichen Exporte nahezu verdoppeln.

Das Schweigen brechen
Selbst hochrangige EU-Diplomaten räumen ein, dass das System Schwächen hat. Der EU-Botschafter in der Türkei, Thomas Ossowski, nannte es „beschämend und inakzeptabel“, dass ein NATO-Verbündeter und EU-Beitrittskandidat weiterhin solchen Hürden ausgesetzt ist.

Seine Worte spiegeln die wachsende Erkenntnis in Brüssel wider, dass der derzeitige Ansatz nicht nachhaltig ist. Die Türkei hat entscheidende Rollen in der europäischen Sicherheit, im Handel und in der Energieversorgung erfüllt, und dennoch bleibt ihren Bürgern die Reisefreiheit verwehrt. Dieser Schritt wird zwar nicht über Nacht jahrelange Ungerechtigkeiten beseitigen, er gibt jedoch einen Hoffnungsschimmer, dass beide Seiten bereit sind, sich in die richtige Richtung zu bewegen.

In diesem Sinne ist klar: Dieser Schritt ist weder ausreichend noch revolutionär. Dennoch sollte man sich nicht in Details verlieren, die die Beziehungen zwischen der Türkei und der EU seit Langem überschatten, sondern ihn als Beginn betrachten.

Jahre von Verhandlungen – in Straßburg und in unzähligen Ausschusssälen in ganz Europa – zeigen eine einfache Wahrheit: Fortschritt entsteht, wenn beide Seiten den Blick auf das große Ganze richten. Die Schengen-Reform ist nicht nur eine technische Änderung, sondern soll den Weg ebnen für Visafreiheit, eine modernisierte Zollunion und eine engere Integration zwischen der Türkei und der Europäischen Union.

  • gegenseitig – karşılıklı
  • sui generis – kendine özgü
  • geprägt – şekillenmiş, damgalanmış
  • beladen – yüklenmiş
  • Ungleichgewicht – dengesizlik
  • Verhandlungen – müzakereler, görüşmeler
  • zugunsten – lehine
  • Gültigkeit – geçerlilik
  • Anziehungspunkt – çekim merkezi
  • Vorsprung – avantaj, önde olma
  • enorm – çok büyük, devasa
  • Gebühren – ücretler, harçlar
  • hochrechnen – hesaplayıp büyütmek, projekte etmek
  • ermüdend – yorucu
  • erneut – yeniden
  • Handelsvolumen – ticaret hacmi
  • Industriegüter – sanayi ürünleri
  • Wettbewerber – rakip
  • Hürden – engeller
  • Ablehnungsquote – ret oranı
  • nicht erstattungsfähig – iade edilemez
  • Nebenkosten – ek masraflar
  • betroffen – etkilenen
  • angenommen – kabul edilmiş
  • Stipendienfristen – burs başvuru tarihleri
  • geschätzt – tahmin edilen
  • Verflechtungen – bağlar, ilişkiler
  • auf den ersten Blick – ilk bakışta
  • aufgeschoben – ertelenmiş
  • Zollunion – gümrük birliği
  • Verhandlungen wieder aufnehmen – görüşmeleri yeniden başlatmak
  • tatsächlich – gerçekten, hakikaten
  • digitale Wandel – dijital dönüşüm
  • öffentliche Auftragsvergaben – kamu ihaleleri
  • Freizügigkeit – serbest dolaşım
  • wiegen – (mecazi) ağır basmak
  • deutlich – belirgin şekilde
  • nahezu – neredeyse
  • verdoppeln – iki katına çıkarmak
  • einräumen – kabul etmek
  • Schwächen – zayıflıklar
  • beschämend – utanç verici
  • Erkenntnis – farkındalık
  • nachhaltig – sürdürülebilir
  • verwehrt – engellenmiş
  • Ungerechtigkeiten – adaletsizlikler
  • Hoffnungsschimmer – umut ışığı
  • ausreichend – yeterli
  • überschatten – gölgelemek
  • Betrachten – değerlendirmek
  • Verhandlungen – müzakereler
  • Ausschusssäle – komite salonları
  • einfache Wahrheit – basit gerçek
  • technische Änderung – teknik değişiklik
  • ebnen (den Weg ebnen) – yolunu açmak
  • engere Integration – daha sıkı entegrasyon

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